Mai 2020
Obwohl ich weiß dass ich bei weitem noch nicht in Form bin stimme ich, zwecks Konditionsaufbau, sofort zu als Sprinter vorschlägt aufs Schüsselkar zu gehen „um mal zu schauen wie es da so ausschaut“ (schneemäßig und überhaupt).
Wir einigen uns darauf ohne große Erwartungen so weit zu gehen wie es der Schnee zulässt und gegebenenfalls auch ohne Kletterei wieder umzudrehen.
Wir starten früh und es ist verdammt frostig als wir uns zur Wettersteinhütte aufmachen. Langsam, aber das zumindest konstant, absolviere ich die ersten Höhenmeter und zu Sprinters großem Erstaunen brauchen wir tatsächlich nur eine Stunde bis dorthin. (Für Sprinter gibt es kein Konditionstief. Winterpause, Coronapause, alles egal, er fängt dort an wo er aufgehört hat. Dementsprechend viele Pausen muss er machen um auf mich zu warten. Dementsprechend langsam kommt ihm wieder mal alles vor.)
Bis zum Gedenkstein habe ich erstaunlicherweise nur ein paar Meter Schneekontakt, trotzdem beschließen wir vorsichtshalber den Grasgrat Richtung Wand zu nehmen. Der direkte Weg, steil und mit bockharten Schneefeldern, erinnert uns doch zu sehr an den Lehnepfeiler.
Im Nachhinein gesehen keine grandiose Idee, der Grasgrat ist zwar fast schneefrei aber aufwärts elendiglich lang. Außerdem pfeift hier der Wind; als wir endlich zur Wand kommen haben wir doch wieder 3 Stunden gebraucht und ich fühle mich wie ein Eis am Stiel.
Windgeschützt und ein Sonnenfenster ausnutzend pausiere ich unter einem Felsvorsprung.
Wie geht’s jetzt weiter? Plan wäre die „Hannemann“. Die ist aber noch weiter links, und am Wandfuß findet sich doch noch einiges an Schnee. Der kluge Sprinter hat noch ein zweites Topo mit. Das schaue ich mir gar nicht an, frage nur „wieviele Seillängen und wie schwer?“, und nach der Antwort (6, 4+) ist klar: die muss es sein!
Wir sind eh schon fast am Einstieg, nur mehr ein paar Meter (im Schnee) nach oben und das war´s.
Sprinter freut sich – die Tour ist saniert, man sieht Bohrhaken.
Ich freue mich auch. Eine leichte Tour am Schüsselkar! Ich überlege schon mal mit wem meiner Sologefährten ich diese Tour demnächst wiederholen werde.
Die erste Länge ist 3, könnte ich natürlich locker vorsteigen, die erste Alpinlänge gehört aber fast immer Sprinter. Der will nämlich genau wissen wie denn die Touren so gemeint sind bevor ich die ersten scharfen Meter klettere.
Zwei Bohrhaken sieht man blitzen, einer weit unten, der andere weit oben in einer kaminähnlichen Verengung. Beim Nachstieg fällt mir gleich der erste Tipp ein den ich für diese Tour geben werde: Rucksäcke die größer als eine Damenhandtasche sind sollte man beim Einstieg bzw. noch davor, am Ende der Abseilpiste deponieren. Eng ist es hier. Und glatt. Und auch ein bisschen steil. Und wo sind eigentlich die Griffe? Etwas ratlos wurstle ich herum. Rechnet ja auch keiner damit dass man in einer 3er Länge großartig denken muss. Schließlich mache ich einen Umweg, raus aus der Rinne, hier ist zwar nicht der gedachte Weg aber ich kann mich frei bewegen. Weiter oben geht es etwas besser, schrofige wechseln mit polierten Passagen, dann bin ich am Stand.
Ich verzichte auf den Vorstieg der zweiten Länge, vorsichtshalber, falls die Bewertung der ersten Länge kein Irrtum war.
Wars offensichtlich nicht, denn ganz ähnlich geht es weiter. Schrofig / brüchig, dann wieder für den Schwierigkeitsgrad (4-) erstaunlich schwere Stellen, dazu kaum Sicherungen und auch nicht immer geeignete Möglichkeiten selber welche anzubringen.
Länge 3 ist dann wirklich mal leicht, zumindest auf die 2er ist Verlass auch wenn ich schon deutlich entspanntere zweite Grade geklettert bin. Sicherungen gibt’s hier auch keine, dafür kugelt einem immer mal wieder ein Stein entgegen.
Und nun, die Schlüsselseillänge. Am Einstieg habe ich das „4+“ noch belächelt, mittlerweile tue ich das nicht mehr.
Erst geht’s über glatte Platten (2) dann in einem Kamin steil nach oben.
Fast schon wie erwartet sprintet Sprinter diese Länge auch nicht nach oben; behutsam klettert er bis zum Kamin, beengt schiebt er sich durch diesen langsam nach oben, sorgfältig legt er einen Friend nach dem anderen und einigermaßen erleichtert kommt schließlich das „Stand!“.
Die 2er Platte bis zum Kamin widerlegt meine Behauptung dass auf die 2er Verlass ist. Im Kamin stecken zwei Bohrhaken, bis zum ersten geht es einfach, dann muss ich einen Friend entfernen den Sprinter hinten im Spalt gelegt hat. Ich verfluche den Rucksack, quetsche mich mit aller Kraft in den Spalt und hoffe dass ich auch wieder rauskomme.
Den zweiten Bohrhaken kann man noch kurz zur Hilfe nehmen, dann muss man sich irgendwie selber helfen. Natürlich, im Nachstieg ist alles leichter, aber dieser Kamin, im Topo als „eng und teuflisch glatt“ beschrieben, bietet halt streckenweise so gar nicht zum Treten und Greifen. Eine Begrenzung ist spiegelglatt, die Wand sowieso.
Nach dem engsten Teil geht es etwas besser, mit den Sicherungen wars das aber auch, aber Sprinter hat die nächsten zwei Friends gut platziert. Oben dann noch ein Bolt, ab hier quert man links und ist bald am Stand.
Wir sind uns einig dass diese Länge sehr speziell war und vermutlich der schwerste 4er den wir bis jetzt geklettert sind.
Noch zwei Längen sind übrig, für die neuere Ausstiegsvariante links, der Originalweg ist rechts.
Sprinter klettert und klettert bis irgendwann kein Seil mehr da ist. Ich vermute er hat die letzten zwei Längen zusammengehängt und steige nach; das Gelände hier ist eher rustikal als schwer. Erst ein paar Meter nach oben, dann, bei einem Ringhaken, macht das Seil einen abrupten Richtungswechsel – nach rechts.
Den Originalweg hat Sprinter ungewollt gewählt, anscheinend hat es links nicht so toll ausgeschaut, sein sollte hier 3er Gelände (was auch immer das heißen mag). Der Originalweg ist aber auch nett, Bolts gibt es keine mehr aber ein paar Normalhaken, denen man eher zufällig begegnet.
Am Ende des Seils thront Sprinter auf dem Grat, somit ist auch diese Tour Geschichte.
Abstieg: zumindest fast, denn erst müssen wir in die Scharte zum Sammelabseiler. Bis jetzt hat der Schnee nicht wirklich gestört, hier am Grat sammelt er sich aber auf der flachen Seite, der übliche Steig zur Scharte ist versperrt. Wir müssen am Grat gehen, mit sichern geht das aber ganz gut, dauert aber ziemlich lang (wir haben normal gesichert, 3 SL, laufendes Seil wäre aber auch möglich, ungesichert gehe ich sowieso keinen Grat).
Beim Abseilen dann die freudige Erkenntnis: mit 60 m Doppelseil kommt man leicht bis zum Boden.
Die weniger freudige: Abziehen könnte zum Problem werden, uns hat dieser Komfort jedenfalls ein Stück Seil gekostet. Vielleicht wäre ein Zwischenstand doch nicht übertrieben gewesen.
Der Rückweg dann wieder über den Grasgrat, abwärts ist er deutlich angenehmer und schneller als aufwärts.
In Summe waren wir gute 10 Stunden unterwegs (mit vielen Pausen), so kann man also auch mit 5 Seillängen einen Tag füllen:).
Fazit: Was jetzt möglicherweise etwas negativ klingt ist in Wahrheit eine durchaus interessante Variante auf den Gipfelgrat zu kommen. Nicht wirklich eine Klettertour im klassischem Sinne, mit etwas irritierenden Schwierigkeitsangaben, aber wenn man es als eine Art Zeitreise betrachtet doch ganz spannend.
Die Tour kann man nämlich tatsächlich als ein Stück Klettergeschichte bezeichnen – 115 Jahre alt, erstbegangen 1905.
Hier schlägt allerdings eher das Alpinistenherz als das des Kletterers, schöne Kletterpassagen gibt es nämlich wenige.
Fazit-Sprinter: Das ist mal eine echt rustikale Tour. Die über 100 Jahre, die diese Tour schon auf dem Buckel hat spürt man ausser in der Schlüsselseillänge nicht arg. Die Kaminlänge hat meines Erachtens aber mit 4irgendwas überhaupt nichts mehr zu tun. Sehr glatt & auch sehr eng. Und auch danach (der Kamin dürfte so ca. 5 Meter lang sein) ist es nicht wirklich leicht. Oben raus geht die sanierte Variante irgendwann links weg – ich habe mal nichts gesehen. Am Grat gibt es viele Möglichkeiten für einen Stand an einem Köpferl. Alles in allem: schön? … mehr interessant und auf jeden Fall lohnend. Auf die Schwierigkeitsangaben braucht man nicht wirklich schauen. Falls schon jemand in der Tour ist sollte man allerdings nicht unbedingt einsteigen. Auf den diversen Absätzen liegt einiges lockeres Material herum. Dank Corona waren nur 3 Seilschaften im gesamten Schüsselkar unterwegs – Super!