Fluchen

 

Ich bin eigentlich ein friedlicher Mensch mit gepflegter Ausdrucksweise. Die Fassung verliere ich selten, am ehesten mal beim Autofahren was aber eindeutig an den unglaublich vielen unglaublich unfähigen anderen Autofahrern liegt.

Aber beim Alpinklettern! Da kommt meine dunkle Seite zum Vorschein und aus mir wird eine fluchende, keifende und zickige Prollschnecke – und ich weiß dass ich nicht die einzige bin der es so geht!

Fluchen gehört irgendwie zum Alpinklettern, vor allem wenn es zwischen den Seilpartnern große Niveauunterschiede gibt. Da werden dann Touren geklettert die für den einen butzileicht sind während der andere im Geist schon sein Testament macht. Wer bei Sprinter und mir welche Rolle übernimmt kann man sich denken.

 

Im Wesentlichen gibt es zwei Fluchkategorien, nämlich Fluchen in Beisein des anderen und unbemerktes Fluchen.

Der große Vorteil des Alpinkletterns (und möglicherweise der Grund warum unsere und andere Beziehungen die Flucherei überleben): ein Großteil des Fluchens passiert unbemerkt, weil man vom Partner erst kurz vor Erreichen des Stands bzw. Einstiegs gehört wird. Bei einer 40m Länge kann man also im Normalfall 30 Meter lang vor sich hin keifen und sich in den letzten 10 Metern in einen netten Menschen rückverwandeln.

 

Langjährige Profialpinisten werden sich jetzt vielleicht fragen warum man beim Klettern überhaupt flucht, schließlich frönt man ja gerade seinem Lieblingshobby, kraxelt im Sonnenschein unter blitzblauem Himmel auf griffigem Fels, am anderen Seilende der Lieblingsmensch oder zumindest jemand der einem nicht ganz unsympathisch ist – warum also das Gezeter?

 

Gründe (eine kleine Auswahl):

 

  •  Beim Zustieg: Sprinter findet ein Wegele, ich keuche in senkrechtem Gelände vor mich hin oder kämpfe mit Dornen und Dschungel. Zeitersparnis:  fucking 7 Sekunden
  •  Beim Zustieg: Sprinter findet sein Wegele toll und fragt mich mit hochgezogenen Augenbrauen warum ich eigentlich so lange gebraucht habe wo doch das Wegele so
     gemütlich war (war es nicht!!!)
  •  Beim Zustieg: Sprinter verspricht seit einer Stunde dass wir jetzt gleich da sind (ja klar)
  •  Im Quergang: Sprinter zieht das Seil ein und reißt mich fast aus der Tour – Panik!
  •  Im Quergang: Sprinter zieht das Seil nicht ein, wenn ich jetzt falle bin ich im Niemandsland – Panik!
  •  Im Nachstieg: Sprinter zieht das Seil zu fest ein, ich kann nicht aushängen
  •  Im Nachstieg: Sprinter hat einen Friend so platziert dass ich ihn nur mühselig rausfummeln kann. Und obwohl ich es bin die immer die Friends einsammelt gibt er mir
     gute Tipps (Besserwisser!)
  •  Im Nachstieg: mit letzter Kraft, pumpenden Armen und schweißüberströmt komme ich nach einer überhängenden 6er - Rissverschneidung am Stand an. Sprinter: „Das
     war jetzt nicht schwer, oder?“ (Doch, verdammt, es war sauschwer!!!)
  •  im Vorstieg: ich habe den Stand noch nicht verlassen und schon gibt Sprinter Anweisungen (Besserwisser!)
  •  im Vorstieg: in einer Tour die wir beide nicht kennen kann Sprinter aus 20 Meter Entfernung offensichtlich sehen wo die optimale Route ist (natürlich nie da wo ich
     gerade klettere) und schreit im Sekundentakt nach oben: „Mehr links!“, „Weiter rechts ist es leichter!“ oder „Du kletterst aus der Tour!“, und das obwohl ich mittlerweile
     meistens richtig liege (Besserwisser!)
  • Beim Abstieg: Sprinter will eine Abkürzung in Form einer Schotterreise / senkrechten Wiese/ eines Schneefeldes nehmen. Während er schon gelangweilt und rauchend unten wartet kämpfe ich immer noch mit schlotternden Knien gegen den Absturz ( Egoist! Ich bin verflucht noch mal keine zwanzig mehr!)

 

Natürlich herrscht in unserer Beziehung grundsätzlich Eintracht, nur manchmal gibt es da eben Momente leichter Disharmonie, die allerdings üblicherweise spätestens beim Ausstieg vergessen sind.

Eigentlich finde ich die Flucherei sogar ziemlich befreiend, speziell, wenn nur die sich sonnenden Eidechsen mein Gekeife mitbekommen. Schade irgendwie, dass man im Alltag nicht auch gelegentlich 30 Seilmeter lang Zeit hat sich unbemerkt abzureagieren  -die Welt wäre verdammt noch mal ein besserer Ort!